Zahlreiche Unternehmen behaupten von sich, Vertrauensarbeitszeit zu leben. Damit meinen sie üblicherweise, dass nicht die im Büro zugebrachte Zeit, sonden die Ergebnisse zählen. Oft wird auch angegeben, dass auf Zeitaufzeichnungen oder Kontrollen solcher selbstgeführter Aufzeichungen verzichtet wird. Aber… ist das berhaupt möglich und zukössig? Auch wenn der Wunsch nur allzu verständich ist, gibt es auch Risiken für Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit.
Der Wunsch: Nicht die Zeit, sondern die Leistung zählt!
Das Modell der Vertrauensarbeitszeit hat sich aus der Praxis heraus entwickelt, ohne dass es dafür eine allgemein gültige Definition gibt. Meist entscheiden dabei Arbeitnehmer selbstständig, wann sie ihre Aufgaben erledigten und wieviel Zeit sie dafür benötigen. Im Fokus stehen nur die Ergebnisse.
Typische (gewünschte) Merkmale von Vertrauensarbeitszeit dieser Art wären etwa:
- Verzicht auf automatisierte Zeiterfassung und Zeitkontrolle durch den Arbeitgeber und Vertrauen auf verantwortungsvollen Umgang mit der Zeit durch die Arbeitnehmer,
- Erweiterter Entscheidungsspielraum der Arbeitnehmer,
- Wegfall personenbezogener Anwesenheitsvorgaben und
- Ergebnisorientierung bzw. Zielvereinbarungen.
Vor allem Arbeitnehmer der jüngeren Generationen Y und Z sehen in solchen Modelle oft die Chance, neben dem Beruf auch anderen Interessen und Betätigungen selbstbestimmt nachzugehen. In der Literatur wird der Begriff „Results-Only-Work-Environment“ (kurz: ROWE) seit einiger Zeit in diesem Zusammenhang genannt. Dieser meint im Prinzip Vertrauensarbeitszeit.
Arbeitgeber wiederum finden Gefallen an einem solchen Modell, da es vermeintlich von strikter Aufzeichnungspflicht und Überstundenentlohnung entbinden soll. Für Führungskräfte bedeutet Vertrauensarbeitszeit auch, dass sie anhand von Zielen führen und entsprechend realistische Zeiten für die zu erbringende Leistung dahinter legen.
Die Realität: Viele Risiken und Unwegbarkeiten
So nachvollziehbar die Wünsche aller Beteiligten nach Vertrauensarbeitszeit auch sind: Arbeitgeber, die ein solches Modell in der oben dargestellten Form umsetzen, gehen damit auch beträchtliche Risiken ein.
Vertrauensarbeitszeit ist derzeit gesetzlich nicht geregelt. Das bedeutet, dass bei der Vertrauensarbeitszeit die gesetzlich geregelten Sonderbestimmungen zur Arbeitszeitflexibilisierung (zB Zeitausgleich statt Überstundenentlohnung, Durchrechnung, Gleitzeit, etc) nicht automatisch zum Tragen kommen. Arbeitgeber, die Vertrauensarbeitszeit einführen oder leben wollen, müssen folgende Punkte bedenken:
- Vertrauensarbeitszeit entbindet nicht von der Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung. Die Pflicht zum Führen korrekter Arbeitszeitaufzeichnungen trifft in letzter Konsequenz den Arbeitgeber. Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht können teuer kommen.
- Vertrauensarbeitszeit ist derzeit – anders etwa als Gleitzeit oder Durchrechnung – kein gesetzlich geregeltes und zulässigerweise umsetzbares Arbeitszeitmodell,
- Vertrauensarbeitszeit setzt weder die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Höchstarbeitszeitgrenzen, noch die Bestimmungen über Ruhepausen, Ruhezeiten oder Nachtarbeit außer Kraft. Die starren Grenzen des Arbeitszeitrechts gelten, sodass es schnell zur Anhäufung von (zuschlagspflichtigen) Überstunden, Verstoß gegen zulässige Höchstarbeitszeitgrenzen und/oder Verletzung der Arbeitsruhe kommen kann. Auch in diesem Zusammenhang ist mit Strafen und Nachforderungen zu rechnen, die den Arbeitgeber treffen. Davor schützen auch All-Inclusive-Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern nicht.
Praktisch bedeutet das, dass Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern umfassende Zeitsouveränität einräumen und Arbeitszeiten weder aufzeichnen noch kontrollieren, hohe Risiken eingehen. Bei Überprüfungen bzw. auch im Streitfall, wenn Arbeitnehmer beispielsweise trotzdem „eigene“ Arbeitszeitaufzeichnungen führen, sehen sie sich oft mit beträchtlichen Strafen oder Nachforderungen konfrontiert.
Abgesehen von den rechtlichen Problemen sind Konflikte zwischen Führungskräften und deren Mitarbeitern, etwa wenn die zur Aufgabenerledigung benötigten Zeiten angezweifelt werden, möglich und können die Zusammenarbeit schädigen.
Die Lösung – Vertrauensarbeitszeit in Kombination mit zulässigen flexiblen Arbeitszeitmodellen
Wie können Arbeitgeber nun diesem Dilemma entkommen? Einerseits wollen sie viel Flexibilität ermöglichen, andererseits wenig Risiko eingehen.
Vertrauensarbeitszeit ist genau genommen kein eigenes Arbeitszeitmodell (zumindest kein gesetzlich geregeltes). Vielmehr ist Vertrauensarbeitszeit als unternehmenskulturelles Thema Voraussetzung für die gelungene Umsetzung anderer Arbeitszeitmodelle. Vertrauensarbeitszeit sollte nur in Kombination mit einem gesetzlich zulässigen flexiblen Arbeitszeitmodell (z.B. Gleitzeit oder Arbeitszeitdurchrechnung) angewendet werden. Das bedeutet, dass Mitarbeiter etwa im Rahmen der vereinbarten Gleitzeit das Vertrauen ihrer Führungskräfte genießen, selbst über ihr Kommen und Gehen entscheiden können, aber ihre Zeiten korrekt aufzeichnen und die Arbeitszeitgrenzen einhalten. Führungskräfte müssen einerseits Autonomie zulassen, aber die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben kontrollieren und bei Verstößen handeln (können). Vertrauensarbeitszeit empfiehlt sich eher bei Mitarbeitern mit ausreichend hohen All-In-Gehältern. Um die rechtlichen Risiken zu minimieren, könnte zusätzlich eine kurze (aber zulässige) Verfallsfrist für Überstundenforderungen vereinbart werden.
Vertrauen ist ein wichtiger Bestandteil erfolgreicher Führungsarbeit und macht Unternehmen und Führungskräfte attraktiv. Im österreichischen Arbeitsrecht ist die Idee der Vertrauensarbeitszeit aber (noch) nicht abgebildet. Daher sollte eine auf Vertrauen aufbauende Führungskultur, in der trotzdem den gesetzlichen Anforderungen genüge getan wird, gewählt werden.
Autoren
Peter Rieder ist als Unternehmensberater in den Bereichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Diversity Management und nachhaltiges Personalmanagement tätig. Er ist Auditor für das staatliche Audit berufundfamilie, Audit hochschuleundfamilie sowie familienfreundliche Gemeinde. Zu seinen Kunden zählen unter anderem BILLA, ÖAMTC, BAWAG PSK, Raiffeisen Leasing, FH Wien, FH Salzburg, SIEMENS Personaldienstleistungen. www.arbeitswelten.at
Dr. Anna Mertinz ist Rechtsanwältin und Leiterin des Arbeitsrechtsteams bei KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH. Sie war zuvor Legal Counsel bei Coca-Cola HBC Austria GmbH und ist auf Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts spezialisiert. www.kwr.at